Interview mit Inklusionsaktivist Raúl Krauthausen

„Alle sind für den Atomausstieg, aber niemand will das Windrad im Garten.“
Raúl Aguayo-Krauthausen ist Inklusionsaktivist, Autor und Moderator. 1980 in Peru geboren lebt er heute in Berlin und arbeitet unter anderem für die von ihm gegründete NGO Sozialhelden. 2013 wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz für seine Verdienste um die sozialen Belange von behinderten und sozial benachteiligten Menschen ausgezeichnet. Er studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation und Design Thinking.
Koordinierungsstelle zur Förderung der Chancengleichheit: Aus Ihrer Sicht - Wie kann Inklusion an Hochschulen am besten gelingen?
Raúl Krauthausen: Erst einmal indem die Gebäude natürlich barrierefrei sind. Der Universitätsbetrieb sollte sich nicht die Frage des Ob stellen, sondern des Wie. Das schließt eine gewisse Geisteshaltung mit ein. Menschen mit Behinderungen, die Assistenzbedarf haben, könnten beispielsweise entsprechende Assistenz vom Studierendenwerk zur Verfügung gestellt bekommen. Und dafür brauchen die Studierendenwerke auch ausreichend finanzielle Mittel. Oft muss allerdings bereits bei den Zugangskriterien angesetzt werden: Viele Menschen können nicht mal das Abitur machen, weil die Gymnasien nicht barrierefrei sind. Der Zugang zu Universitäten wird ihnen auch oft versperrt.
Werden Sie im Alltag häufig mit Unsicherheiten und Überforderung konfrontiert, beispielsweise im Bereich Sprachsensibilität?
Ja, natürlich. Da kann man ganze Projekte drum machen! Wenn Sie sich allein den Sprachgebrauch angucken: "An den Rollstuhl gefesselt", "trotz der Behinderung", "tapfer das Schicksal meistern". Das sind alles Annahmen von nichtbehinderten Menschen, die glauben zu wissen, dass es eine Bürde ist, eine Behinderung zu haben. Aber die Bürden sind die Barrieren im Alltag.
Da schwingt häufig ein gewisses Pathos mit, das stimmt. Was würden Sie sich im sozialen Miteinander wünschen - was könnten Menschen tun, um Inklusion aktiv voranzutreiben und zu normalisieren?
Erstmal den Menschen als erstes sehen, nicht die Behinderung. Davon ausgehen, dass die Person genauso Leidenschaften, Wünsche, Träume, Hobbies hat und mehr ist als die Behinderung. Und wir bräuchten eine Art Willkommenskultur. Es ist ja niemand da draußen und sagt "Mit Behinderten will ich nichts zu tun haben" - zumindest nicht öffentlich. Es ist eher so: "Jaja, wir wissen schon, dass das alles wichtig ist". Aber sobald es darum geht, sich im eigenen Kindergarten, der Schule oder Uni dem Thema zu stellen, kommen Berührungsängste auf. Alle sind für den Atomausstieg, aber niemand will das Windrad im Garten. Da müsste man eine Willkommenskultur vorleben und sagen 'Ja klar, warum nicht!' Und vielleicht auch explizit sagen, wenn einem auffällt, dass im eigenen Studiengang keine behinderten Kommiliton*innen sind und die Frage stellen: Warum eigentlich nicht?
Hätten Sie sich das auch in Ihrem eigenen universitären Alltag gewünscht?
Ich habe meine Studienzeit sehr positiv in Erinnerung. Es gab relativ wenige Probleme und ich hatte mich damals mit der Thematik 'Diskriminierung von behinderten Menschen' noch gar nicht so auseinandergesetzt. Ich war genauso an Gruppenarbeiten, Hausarbeiten, Referaten oder Exkursionen beteiligt wie die nichtbehinderten Kommiliton*innen. Was ein bisschen schwerer fiel war das Finden von Praktikumsplätzen! Da ich Werbung studiert habe war das eine eher kommunikationslastige Arbeit, die wir gemacht haben. Eine, die man dann am Computer erledigt, sodass es im Vergleich zu handwerklichen Tätigkeiten relativ wenig Ausreden gibt, um zu sagen "Das geht mit dem Rollstuhl nicht".
Und auf bundespolitischer Ebene, wo sehen Sie momentan am meisten Entwicklungsbedarf zur Stärkung der Rechte und Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen?
Ich glaube, das ganze steht und fällt mit der Beteiligung behinderter Menschen an den Gesetzen. Wir müssen endlich an den Punkt kommen, dass behinderte Menschen ein Mitspracherecht bei der Gestaltung von Gesetzen bekommen statt Nichtbehinderte entscheiden zu lassen, was behinderten Menschen zusteht und was nicht. Das ist so, wie wenn Männer beurteilen, was Frauen zusteht und was nicht. Was auch noch häufig genug passiert, aber eigentlich nicht sein darf. Also: Aktive Beteiligung ermöglichen, zuhören und vor allem mitsprechen- und mitentscheiden lassen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Nicola Kindler.