Interview mit (Queer-) Feministin Hengameh Yaghoobifarah

© Yunlong Xie

"Kreative Strategien mit Sprache und anderen gesellschaftlichen Tools"

Hengameh Yaghoobifarah bloggt und schreibt als freie Autorin, u.a. für die taz, Die ZEIT und das Missy Magazine. 1991 in Kiel geboren, studierte sie Medienkulturwissenschaften und Skandinavistik in Freiburg, lebt und arbeitet seit 2014 in Berlin. In ihrer Kolumnenreihe Habibitus legt sie gern mal Finger in diskursive Wunden und macht Themen wie Kulturelle Aneignung, critical whiteness und feministische Belange sichtbar.

Koordinierungsstelle zur Förderung der Chancengleichheit: Du verstehst dich als nicht-binär verortete Person. Ich stelle mir das in einer Gesellschaft, in der sogar Kinderzahnpasta gegendert wird (sic), schwierig vor!

Hengameh Yaghoobifarah: Ist es auch. Vor allem in Deutschland, wo die Sprache so stark gegendert ist. Im Vergleich zu vielen anderen Sprachen wie Englisch, Schwedisch oder auch Türkisch und Farsi gibt es beispielsweise keine genderneutralen Pronomen oder Endungen an bezeichnenden Substantiven wie Lehrer_in oder Konsument_in. Geboten sind hier kreative Strategien, sowohl mit Sprache als auch mit anderen gesellschaftlichen Tools.

Nach einem langen gesellschaftlich stiefmütterlich behandelten Dasein erfährt der öffentliche Dialog um feministische Belange innerhalb der letzten Jahre eine Art diskursive „Aufwertung" bis hin zur Aneignung durch die Popkultur. Wie bewertest du vor allem letzteres?

Wenn es nicht nur bei einer oberflächlichen Aneignung bleibt, die nur ein Image aufwerten soll, und sich der Feminismus auch in den Produktions- und Arbeitsbedingungen der jeweiligen Geschichte spiegelt, finde ich den Trend weder besonders nachhaltig noch subversiv. Eine kapitalistische Aneignung radikaler Bewegungen ist nichts Neues – und nichts Revolutionäres.

Du bloggst und diskutierst vor allem zu Themen wie Intersektionalität, Body Positivity und Queerfeminismus. Hast du dich bereits während des Studiums für Chancengleichheit und Antidiskriminierung engagiert oder wie kam es zu deinem Aktivismus?

Mit 14 beschloss ich, dass ich den gesamtgesellschaftlichen Bullshit nicht ertrage. Damals waren es Nazis, Vergewaltiger und George W. Bush, die mich wütend machten. Deshalb fing ich an, mich politisch zu organisieren. Ich hab meinen Blick seitdem aber noch erweitert und kämpfe gegen intersektionale Diskriminierungs- und Gewaltstrukturen.

Noch immer sprechen Statistiken in sämtlichen Karrierekontexten gegen die Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Je höher die Karrierestufe, desto mehr dünnt der Frauenanteil aus. Was würdest du jungen Frauen, Student*innen oder Berufseinsteiger*innen raten, sich trotz dieser Herausforderungen durchzusetzen?

Ich würde ihnen raten durchzuziehen, worauf sie Lust haben. Wenn sie Karriere machen wollen, dann bitte, aber sie sollten im Blick behalten, auf wessen Rücken die Treppe der Karriereleiter gebaut wird – das finde ich im Kontext von Lean-In-Femininism und neoliberalen Vereinnahmungen von der Idee der Gleichberechtigung wichtig. Mein größter Traum wäre, wenn keine_r mehr eine Karriere verfolgen würde, sondern wir gemeinsam eine Revolution zur Umstürzung kapitalistischer, patriarchaler, rassistischer, hetero- und cisnormativer Strukturen schaffen würden. Aber ich verstehe auch, dass es nicht von heute auf morgen klappt und Leute – ich selber eingeschlossen – bis dahin irgendwie an Geld kommen müssen.

Eine kürzlich veröffentlichte Studie bekräftigte, dass Frauen sich häufiger für den Wettbewerb mit anderen entscheiden, wenn sie ein erfolgreiches weibliches Vorbild haben. Hast du ein persönliches Vorbild, das dich empowert?

Ich würde sagen, dass ich kein Idol habe, sondern, dass mich sehr viele meiner Freund_innen inspirieren und empowern. Einfach, weil sie sehr starke, resiliente Menschen mit tollen Ideen und Visionen sind.

Danke dir für das Gespräch!

Das Interview führte Nicola Kindler.

Zurück