Laila Noëmi Riedmiller & Katharina Schmitt Representation matters. Zur Notwendigkeit einer Stärkung und Verzahnung von Diversitäts- und Internationalisierungsstrategien

Diversität und Internationalität sind zwei zentrale Handlungsfelder moderner Universitäten. Deshalb fokussiert sich dieser Text auf die Verzahnung und institutionelle Verankerung beider Imperative. Universitäten ziehen Studierende und Forschende an, prägen die städtische Kultur- und Weiterbildungslandschaft, bieten Arbeitsplätze und sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor ihrer Städte. Ihre Absolvent*innen übernehmen oft verantwortungsvolle gesellschaftliche Positionen. Somit beeinflussen Universitäten und ihre Angehörigen direkt die (stadt-)gesellschaftliche Entwicklung. Die Vermittlung und Förderung demokratischer Werte wie Pluralität sowie die aktive Auseinandersetzung mit und Bekämpfung von Diskriminierungsformen wie Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit, Klassismus, Queerfeindlichkeit, Rassismus oder Sexismus gehören zu ihren Aufgaben. Sie haben also eine gesamtgesellschaftliche Vorbildfunktion nach außen. Deshalb ist eine Auseinandersetzung mit den Potenzialen und Herausforderungen von Diversität und Internationalisierung und mit der Relevanz eines strukturellen und qualitativen Ausbaus der hierfür zuständigen Stellen notwendig. Mit dem vorliegenden Text soll dazu ein Beitrag geleistet werden. Aufbauend auf den Ergebnissen einer Studie, an der wir beteiligt waren (Kaldewey et al., 2024), stellen wir Überlegungen zum gegenwärtigen Stand beider Bereiche an deutschen Universitäten an.[1] Wir argumentieren anhand konkreter Beispiele für ihre Stärkung und enge Kooperation. Aus der Umsetzung von Diversität und Internationalisierung im Spannungsfeld zwischen Hochschulalltag, knappen Ressourcen und konkreten gesellschaftspolitischen Herausforderungen ergibt sich ein vielfach nutzbarer Erfahrungsschatz.

1. Ausgangslage und Hintergrund

Internationalität und Diversität überschneiden sich vielfach: Internationale Studierende und Universitätsangehörige vereinen oft verschiedene Diversitätsdimensionen (bspw. Geschlechtsidentität, Ethnie, sexuelle Orientierung) in sich, die Marginalisierungs- und Ausschlusserfahrungen begünstigen können. Für Universitätsangehörige mit entsprechenden Marginalisierungserfahrungen reduziert sich bei einem internationalen Austausch möglicherweise die Anzahl der Zielländer. Für eine rassifizierte oder homosexuelle Studentin stellt sich bei der Auswahl von Gastländern die Frage, wie liberal das Land mit Menschen anderer Hautfarbe oder anderer sexueller Orientierung umgeht, ein Dozent im Rollstuhl muss sehr spezifische Informationen über die Barrierefreiheit der Zieluniversität und der möglichen Unterkünfte einholen. Aus der Erfahrung mit Internationalisierung lässt sich über Erfolg und Misserfolg im Umgang bspw. mit interkultureller Diversität lernen; vonseiten der Diversität lassen sich Leerstellen in Internationalisierungsbestrebungen benennen, etwa wenn eine internationale Forschungskooperation aufgrund unterschiedlicher Aufenthaltsstatus nicht allen Mitwirkenden gleichermaßen möglich ist und dies bspw. bei Internationalisierungsprogrammen nicht ausreichend berücksichtigt wird. Gleichzeitig gibt es wichtige Unterschiede, sodass kein Ziel automatisch das andere erfüllt. Die Frage nach einer Verzahnung beider Bereiche stellt sich gerade, weil sie nicht lediglich Mittel zum Zweck sind: Die erfolgreiche Umsetzung von Diversitäts- und Internationalisierungszielen ist die Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe aller Hochschulangehörigen.

Zugleich kann der Erfolg von Internationalisierung und Diversität zu mehr Konflikten und Diskussionen um Anerkennung führen (El-Mafaalani, 2018, 2022), denn inneruniversitär zwingen zunehmend geäußerte Teilhabeforderungen marginalisierter Gruppen dominante Positionen zur Auseinandersetzung mit Ausschlussmechanismen und unhinterfragten Hierarchien. Mitunter wird dies als Machtverlust wahrgenommen; es kommt zu Backlash-Bewegungen (Mansbridge & James, 2008) und Kulturkämpfen. Diversität und Internationalisierung an Hochschulen werden zum Feindbild national(istisch) orientierter autoritärer Politiken (Amlinger & Nachtwey, 2022, 211–214; Daub, 2022; Miller-Idriss, 2022). Es liegt also nahe, Universitäten als Orte gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zu verstehen – Aushandlungsprozesse, in denen die konkrete Umsetzung von Diversität und Internationalisierung eine zentrale Rolle spielt. Vor diesem Hintergrund scheint es überraschend, dass zur konkreten Umsetzung beider Ziele an den Hochschulen kaum Studien existieren. Dies liegt allerdings auch darin begründet, dass die Frage, was jeweils unter Diversität und Internationalisierung zu verstehen ist, universitäts- und forschungsintern sehr umstritten ist und die Erhebung entsprechender Daten erschwert (Riedmiller & Schmitt, 2024).

 2. Beziehungsstatus: It’s complicated

Um das Verhältnis von Internationalisierung und Diversität im europäischen Kontext besser zu verstehen, befassten wir uns zwischen 2020 und 2023 in einem deutsch-polnischen Forschungsteam mit der Institutionalisierung beider Bereiche in den Universitätsverwaltungen und auf der Ebene der Universitätsleitungen sowie deren Zusammenspiel (Kaldewey et al., 2024). Im Rahmen einer Mixed-Methods-Untersuchung kombinierten wir die E-Mail-Befragung deutscher und polnischer Universitäten mit der Auswertung ihrer Websites. Dabei kontaktierten wir ausgehend von einer uns durch die Hochschulrektorenkonferenz bereitgestellten und durch eigene Recherche ergänzten Liste im Herbst 2021 sämtliche International Offices deutscher Universitäten und baten sie um die Beantwortung eines offenen Fragebogens; in einem zweiten Schritt verfuhren wir ebenso mit den Gleichstellungsbüros dieser Universitäten.[2] In Workshops mit Hochschulprofessionellen stellten wir unsere (Zwischen-)Ergebnisse zur Diskussion. Ende 2023 ergänzten wir unsere Erkenntnisse durch vertiefende qualitative Interviews mit Führungspersonen aus beiden Bereichen.[3]

Deutlich wurden zwei teils gegenläufige Tendenzen: Einerseits werden Diversität und Internationalisierung häufig vollständig getrennt verwaltet (oder den Verantwortlichen sind gemeinsame Strukturen und Strategien an ihren Hochschulen nicht bewusst). Funktional betrachtet ergibt eine Trennung durchaus Sinn, kann aber bei mangelndem Austausch zu Doppelstrukturen führen. Andererseits ist das Zusammenspiel der Themenfelder für viele Hochschulprofessionelle naheliegend und selbstverständlich. Einige bemühen sich aktiv, ihre jeweiligen Zuständigkeiten in Verschränkung mit Kolleg*innen des jeweils anderen Bereichs zu bearbeiten.

Innerhalb dieses Spannungsfelds wurden diverse Herausforderungen deutlich. So weist der Institutionalisierungsgrad beider Themenfelder starke Unterschiede auf. Internationalisierung ist an deutschen Universitäten meist in Form eines zentralen International Office, in den letzten Jahren teilweise auch durch fakultäts- oder themenspezifische Beauftragte unterstützt, fix etabliert und mit einer festen Personaldecke, häufig mit zusätzlichen Projektstellen ausgestattet. Die Definition von Diversität und die Zuordnung der unterschiedlichen Aspekte und Aufgaben zu institutionellen Einheiten oder Personen hängen unseren Ergebnissen zufolge ebenso wie die Stärke der zuständigen Stellen und die Vertretung der relevanten Themen in Strategie- und universitären Prozessen stark von der jeweiligen Institution, den beteiligten Personen und ihren individuellen Priorisierungen und Verständnissen beider Imperative ab: Die juristisch verpflichtende Benennung von Beauftragten für Geschlechtergleichstellung oder die Belange behinderter Universitätsangehöriger begünstigt zwar die Internationalisierung dieser Themen, allerdings wurden bspw. Behindertenbeauftragte in unserer Studie vielfach nicht explizit als Teil der Diversitätsstrukturen benannt. Im Rahmen unserer qualitativen Vertiefungsinterviews verwiesen die Befragten wiederholt auf die Knappheit von Ressourcen, aufgrund derer nicht immer alle Diversitätsdimensionen berücksichtigt werden könnten (Kaldewey et al., 2024, 8f.).

Dies erschwert auch die synergetische Zusammenarbeit beider Bereiche, obwohl diese, wie in Kapitel 1 dargestellt, an vielen Stellen sinnvoll, notwendig und auch gewünscht sein kann. Nicht immer wird dies jedoch von übergeordneten Stellen unterstützt. Die ohnehin knappen Kapazitäten und Ressourcen und die unterschiedlich starke Ausstattung von Internationalisierungs- und Diversity-Stellen lassen den Befragten zufolge zusätzlichen Austausch vielfach nicht zu und begünstigen dadurch auch Parallelstrukturen, die wiederum zulasten bereits knapper Ressourcen gehen. Auch die teilweise Konkurrenz der einzelnen Stellen untereinander, etwa bei der Frage von Zuständigkeiten und Entscheidungskompetenzen, erschwert den Aufbau nachhaltiger Strukturen zusätzlich. Der komplizierte Beziehungsstatus umfasst dabei nicht nur das Verhältnis zwischen Internationalisierungs- und Diversitätsstellen, sondern auch die Beziehung der Universitätsleitungen zu den verantwortlichen Stellen. Deutlich wird dies bspw. an der Zuteilung und Benennung von Prorektoraten und Vizepräsidien: Während ein Prorektorat und/oder Vizepräsidium für Internationalisierung an mehr als 3/4 der befragten Universitäten vorhanden und als solches benannt ist, werden Diversität und/oder Gleichstellung nur bei etwa der Hälfte der Universitäten als explizite Aufgabenbereiche bereits im Namen von Vizepräsidien bzw. Prorektoraten deutlich (Kaldewey et al., 2024, 10) Deutlich wurde, dass die bestehenden Strukturen nicht strategisch aufgebaut, sondern historisch gewachsen sind, und eine als funktionierend empfundene Zusammenarbeit wurde von den durch uns Befragten unter diesen Bedingungen nicht auf strategische Entwicklungen oder Anweisungen höherer Stellen, sondern auf Eigeninitiative und gute Kollegialität zurückgeführt.

3. Herausforderungen und Bedrohungen für Diversität und Internationalisierung an Hochschulen

In unserer bisherigen Darstellung wurden insbesondere zwei Leerstellen deutlich, die sich auf den universitären Umgang mit internationalisierungs- und diversitätsspezifischen Herausforderungen auswirken: Erstens ist den Befragten zufolge eine Kooperation von Diversitäts- und Internationalisierungsverantwortlichen in vielen Fällen notwendig, allerdings kaum institutionalisiert. Zweitens besteht universitätsintern wie -übergreifend gerade beim Begriff der Diversität selten Konsens über die inhaltlichen Dimensionen des Begriffs und die damit verbundene Schwerpunktsetzung. Nachfolgend möchten wir an drei Beispielen verdeutlichen, welche Gefahren mit diesen beiden Leerstellen einhergehen, inwiefern sich gerade daraus die Notwendigkeit eines strukturellen und qualitativen Ausbaus von Diversitäts- und Internationalisierungsstellen ergibt und welches Potenzial in einer engeren Verknüpfung von Diversität und Internationalisierung steckt. Dabei haben wir uns bewusst für drei sehr unterschiedliche und aktuelle Themen entschieden, um die Wechselwirkungen zwischen universitätsinternen Prozessen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen sowie die Vielfalt der daraus resultierenden Herausforderungen zu betonen. Dass wir uns dabei nicht auf empirische Erkenntnisse beziehen, sondern die Ergebnisse unserer Studie zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen nehmen, verweist gerade auf die Unsichtbarkeit beider Leerstellen: Es existiert schlichtweg noch keine ausreichende Forschung dazu.

3.1. Rechte Parteien und ihre politische Einflussnahme auf Hochschulpolitik

Unsere Studie erstreckte sich über drei von Krisen und Konflikten geprägte Jahre. Insbesondere in den Gesprächen mit polnischen Hochschulangehörigen wurde der Einfluss des politischen Kontexts auf universitäre Diversitäts- und Internationalisierungsstrategien deutlich. So reagierten zwischen November 2021 und Frühjahr 2022 polnische Hochschulprofessionelle überwiegend skeptisch auf unsere Interviewanfragen, verwiesen auf die rechtspopulistische Regierung, die Marginalisierung von Themen wie Geschlechtergerechtigkeit und konkrete berufliche Risiken, die sich für sie durch eine Teilnahme ergeben könnten. Nach dem Regierungswechsel 2023 erklärten sich einige zu Interviews bereit, schilderten ihre Erleichterung angesichts des Regierungswechsels und zeigten sich optimistisch, dass insbesondere Diversitätsthemen nun mehr Beachtung finden könnten. Deutlich wird an diesem Beispiel nicht nur der Einfluss der jeweiligen politischen Situation auf Hochschulen und deren strategische Ausrichtung, sondern auch, dass gerade die Regierungsbeteiligung autoritärer Parteien für mit Diversität und Internationalisierung befasste Universitätsangehörige als belastend empfunden werden kann. Interessant ist dabei der positive Einfluss europäischer Gleichstellungsvorgaben und Förderprogramme, da auch die rechtskonservative und rechtspopulistische Regierung in Polen diese in Teilen umsetzen musste, um sich für Förderprogramme zu qualifizieren (Kaldewey et al., 2024, 12).

Während bei den polnischen Befragten Ende 2023 Optimismus überwog, zeigten sich Befragte aus ostdeutschen Bundesländern, in denen 2024 Landtagswahlen anstehen, Ende 2023 besorgt über die möglichen Auswirkungen eines AfD-Wahlsiegs und die Zugewinne weiterer rechter Gruppierungen und Parteien auf das Klima an ihren Universitäten und ihre konkrete Arbeit. Aus der Rechtsextremismusforschung ist bekannt, dass rechte Akteur*innen kultur- und bildungspolitische Maßnahmen bewusst einsetzen, um gesellschaftliche Deutungsmacht zu erlangen, politische Gegner*innen einzuschüchtern und eine eigene intellektuelle Elite herauszubilden. Universitäten sind dafür der ideale Ort, wie die Radikalisierungsforscherin Cynthia Miller-Idriss (2022, 113) am Beispiel rechter Einflussnahme auf US-amerikanische Universitäten erklärt:

"Symbolically, attacks on campuses are a part of a broader assault on knowledge, truth claims, and arguments about the liberal bias of higher education. Strategically, they are sites to challenge the limits of free speech, spread propaganda, recruit youth, and polarize campus communities in ways that contribute to overall far-right goals and create societal discord."

Dabei spielen Angriffe gerade auf marginalisierte und bspw. von Rassismus oder Queerfeindlichkeit betroffene Gruppen, der Kampf gegen eine durch Gleichstellungsmaßnahmen angeblich hervorgerufene Bedrohung der als natürlich dargestellten binären Geschlechterhierarchie und die Betonung des nationalen „Eigenen“, das vor „fremden“ Einflüssen zu schützen sei, eine große Rolle (Riedmiller, 2023; Goetz, 2018; Hark & Villa, 2015). Vor diesem Hintergrund lassen sich die Angriffe auf Gleichstellungsmaßnahmen durch rechte und extrem rechte Akteur*innen als Teil eines auch Universitäten betreffenden rechten Kulturkampfs verstehen. Die Pläne der thüringischen AfD unter Björn Höcke, das Landesgleichstellungsgesetz abzuschaffen (Müller et al., 2024), und Höckes bildungspolitische Überlegungen im Sommerinterview des MDR 2023 (MDR Thüringen, 2023) verdeutlichen diese Strategie. Umfragewerte zeigen, dass die Partei künftig stärkste Kraft in Thüringen werden könnte. Dass das Risiko dabei nicht auf Ostdeutschland beschränkt ist und gesellschaftliche Backlashs, Angriffe auf Minderheiten und die Ausweitung von Sagbarkeitsgrenzen nicht ausschließlich von der AfD initiiert und befördert werden, wird exemplarisch an den Vorstößen zum Verbot von Binnenzeichen in der Verwendung geschlechtergerechter Sprache („Gender-Verbot“) an hessischen und bayerischen Schulen, Universitäten und Behörden deutlich, die zur Unsichtbarmachung geschlechtlicher Vielfalt beitragen und auch intern scharf kritisiert werden (Pfadenhauer, 2024). Zwar können „Fehltritte“ im Einzelfall kaum konsequent belangt werden und im universitären Kontext steht die Freiheit von Lehre und Forschung dem weiter entgegen, doch gerade die Unsicherheit von Hochschulprofessionellen im Verwaltungsbereich, die sich nicht auf Wissenschaftsfreiheit berufen können, kann verstärkt werden. Universitäten sind keine diskriminierungsfreien Orte, Diversität und Internationalisierung keine Selbstläufer. Das Mainstreaming ohnehin prekärer Diversitäts- und Gleichstellungsmaßnahmen wird durch solche Vorstöße weiter erschwert.

3.2. Universitäre Strukturen und Ressourcenknappheit als Herausforderung für Diversität und Internationalisierung

Das Bestreben nach Internationalisierung und die Förderung von Internationalität klaffen in der Realität häufig auseinander. Derzeit werden etwa auf Bundes- und Landesebene Initiativen[4] zur Unterstützung internationaler Absolvent*innen gefördert, die den Auf- und Ausbau integrativer Maßnahmen und damit der Bleibeperspektiven internationaler Studierender ermöglichen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Fördermittel auch langfristig zur Verfügung gestellt werden, denn um wirken zu können, muss die Fortführung dieser Maßnahmen nachhaltig finanziell abgesichert sein. Demgegenüber können bisher bspw. Sprachkurse für Internationale im Regelbetrieb aufgrund unzureichender Finanzierung oder kurzfristiger Planung selten im benötigten Umfang angeboten werden. In Phasen starken Andrangs durch geflüchtete Studierwillige und Studierende aus Syrien 2015 und der Ukraine 2022 wurde diese Knappheit zum Flaschenhals. Da der Spracherwerb eine wichtige Voraussetzung für den Zugang und Abschluss des Studiums ist, wirkt sich ein unzureichendes Angebot an Sprachkursen verzögernd bis verhindernd auf die Integration Internationaler aus. In einer Zeit, in der nationalistische Parteien Zuspruch erhalten, können bspw. finanzielle Engpässe für den Rückbau von als ressourcenintensiv wahrgenommenen Internationalisierungsmaßnahmen genutzt werden (de Wit & Jones, 2018, 17). Die dringend nötigen Räume und die Zeit für eine produktive Auseinandersetzung mit Herausforderungen und fehlgeschlagenen Projekten stehen aber bereits jetzt oft nicht zur Verfügung.

Auch die Internationalisierung der Verwaltung[5] steht vor Herausforderungen. Die Anforderungen an interkulturelle und Sprachkompetenzen der Verwaltungsmitarbeiter*innen aller Bereiche haben sich verändert. Um Barrieren in der Administration für internationale Studierende und Wissenschaftler*innen abzubauen und gute Beratung zu ermöglichen, bieten viele Universitäten kostenlose Sprachkurse und interkulturelle Schulungen in der Arbeitszeit an. Eine Reduzierung der Arbeitsaufgaben, um diese Angebote wahrnehmen zu können, und eine entsprechende Würdigung (etwa durch Höhergruppierung oder finanzielle Anerkennung) sind jedoch nicht die Norm.

3.3. Universitäten als Orte kontroverser Aushandlungsprozesse: Leerstelle Antisemitismus

In unserer Studie verwiesen Befragte auch auf das Potenzial der Studierenden selbst. So sei es einer aktiven selbstverwalteten Studierendenschaft, rassismuskritischen oder feministischen Hochschulgruppen zu verdanken, dass diese Themen Gehör in den Hochschulen finden. Übertragen auf die aktuell auch an deutschen Universitäten geführten Diskussionen und die teils antisemitischen Ausschreitungen im Zuge von Protestaktionen nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und dem Wiederaufflammen des Nahostkonflikts zeigt sich allerdings, dass der Umgang mit Antisemitismus an vielen Universitäten eine Leerstelle nicht nur im Diversity Management darstellt. So berichten jüdische Studierende von antisemitischer Diskriminierung an Universitäten und jüdische Hochschullehrende warnen vor einer Zunahme des Antisemitismus (Hinz et al., 2024; Netzwerk Jüdischer Hochschullehrender, 2024). Angehörige marginalisierter Gruppen können Ausschlusserfahrungen nur formulieren, wenn einer ausreichend großen Zahl von ihnen der Weg an die Universität bereits gelungen ist. Daher ist es zu begrüßen, wenn Rassismuserfahrungen inneruniversitär zunehmend öffentlich gemacht werden und unterschiedliche universitäre Akteur*innen diesen Diskriminierungsformen gegenüber sensibler werden. Doch nicht alle Angehörigen marginalisierter Gruppen sind in gleichem Maß an der Auseinandersetzung beteiligt. Jüdische Studierende sind eine zahlenmäßig äußerst kleine Gruppe mit geringem Einfluss, wodurch sie ihre Forderungen schwieriger durchsetzen können. Eine Möglichkeit, Antisemitismus als Diskriminierungsform mitzudenken, besteht in der Etablierung speziell geschulter Antisemitismusbeauftragter, wie sie einige deutsche Universitäten derzeit vornehmen, und einer Sensibilisierung der breiten Universitätsgemeinschaft. Bislang findet beides an deutschen Universitäten jedoch nur selten statt. Dabei sind gerade Universitäten Orte, die Räume für die Aushandlung kontroverser Themen bereitstellen könnten.

4. Fazit: Die erfolgreiche Umsetzung von Diversität und Internationalisierung als Motivator und Ressource

Universitäten stehen in der Verantwortung, sich wirksam gegen Diskriminierung zu positionieren und die liberale Demokratie und ihre Errungenschaften zu verteidigen. Ihre Vorbildfunktion im Bereich der Demokratieförderung erstreckt sich auf die gesamte Hochschulgemeinschaft, besonders auch auf die Lehre und die Ausbildung zukünftiger Lehrer*innen. Unsere Befragung machte deutlich, dass ein liberales politisches Klima die Begeisterung für Pluralität und die Umsetzung entsprechender Maßnahmen innerhalb von Universitäten befördern kann. Im Rahmen vergangener Migrationsbewegungen wie im Kontext des syrischen Bürgerkriegs oder des russischen Angriffs auf die Ukraine zeigte sich bereits, dass Universitäten hier ein starkes Engagement mobilisieren können.

Die grundgesetzlich geschützte Freiheit in Forschung und Lehre ist ein hohes Gut, dessen Verteidigung gerade auch von Universitäten ausgehen muss. Die Schaffung von Räumen, in denen kontroverse Themen respektvoll und reflektiert diskutiert werden können, und die Solidarität mit Wissenschaftler*innen aus Ländern, in denen diese Freiheit auf dem Spiel steht, sind Ausdruck einer solchen Verteidigung. Universitäten können den wissenschaftlichen Austausch mit Forschenden aus autoritären Regimen erhalten oder erst ermöglichen und politisch verfolgten Wissenschaftler*innen durch Forschungskooperationen und Förderprogramme wie die Philipp Schwartz-Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung (2024) Schutz bieten. Daneben lässt sich von deren Erfahrung im Umgang mit und der Abwehr von autoritärer Einflussnahme lernen. Der Schutz von Wissenschaftler*innen ist also nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten, sondern gerade auch aus dem Verständnis von Wissenschaftsfreiheit heraus zu rechtfertigen.

Zugleich sind Universitäten selbst nicht frei von Hierarchien und der Verantwortung, Ungleichbehandlung innerhalb ihrer eigenen Strukturen abzubauen. Wirkungsstarke Verantwortliche für Diversität und Internationalisierung können diese Themen insbesondere in der strategischen Hochschulentwicklung vorantreiben, und gut ausgestattete und miteinander abgestimmte International und Diversity Offices können die Entwicklung und Anpassung von Integrationsmaßnahmen und Angeboten zur Auseinandersetzung mit Vorurteilen fördern. Wie kompliziert die Erforschung und Evaluation dieser Bemühungen ist, wurde im Verlauf unserer Studie deutlich (Kaldewey et al., 2024; Riedmiller & Schmitt, 2024). Dass sie trotzdem dringend notwendig ist, haben wir mit diesem Beitrag verdeutlicht. Studien zur Unterfütterung unserer Überlegungen stehen gerade aufgrund der Existenz von Leerstellen noch aus. Allerdings kann gerade an Universitäten die Verquickung von Praxis und Forschung und der enge Austausch von wissenschaftlichem und Verwaltungspersonal die Ermittlung des jeweiligen Standes der Internationalisierungs- und Diversitätsbemühungen, die Identifikation von Herausforderungen und die Entwicklung einer nachhaltigen Gesamtstrategie unterstützen. So entscheidet die gelungene Umsetzung von Diversität und Internationalisierung mit über die Zukunftsfähigkeit und Strahlkraft von Universitäten, denn sie ermöglicht die Schaffung von Räumen für Diskurs und Konflikt sowie die Aushandlung von Grenzen, innerhalb derer sich Dissens produktiv wenden lässt, und bestärkt gleichzeitig die gesamte Universitätsgemeinschaft, diese (Meinungs-)Vielfalt zu (er-)leben.

Fußnoten

[1] Da wir in unserer Studie nur Volluniversitäten befragten, erhebt dieser Text nicht den Anspruch, den Stellenwert von Internationalisierung und Diversität an Hochschulen im Allgemeinen bzw. an Fachhochschulen, künstlerischen oder technischen Hochschulen zu bewerten.

[2] Im Gegensatz zur Internationalisierung ist Diversität an deutschen Universitäten deutlich dezentraler organisiert (auch der nächste Absatz). Aus diesem Grund kontaktierten wir die gesetzlich vorgeschriebenen Gleichstellungsbüros, auch wenn dadurch ein anfänglicher Fokus auf die Diversitätsdimension Geschlecht nicht vermieden werden konnte.

[3] An dieser Stelle fassen wir die wichtigsten Ergebnisse zusammen. Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit den Ergebnissen und der Methodik siehe Kaldewey et al., 2024 sowie Riedmiller & Schmitt, 2024.

[4] bspw. die „Campus-Initiative internationale Fachkräfte“ des DAAD und die dazugehörigen Förderprogramme FIT und Profi plus sowie die Entschließung der HRK Mitgliederversammlung vom 24. Mai 2024 zu Grundlagen und Rahmenbedingungen für den erfolgreichen Studien- und Berufsweg internationaler Studierender (HRK 2024).

[5] Die im Rahmen der HRK-EXPERTISE Internationalisierung gesammelten Best Practices geben einen guten Überblick über die Vielfalt der Maßnahmen an deutschen Hochschulen (HRK, 2021).

Literatur

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Daub, A. (2022). Cancel Culture Transfer. Wie eine moralische Panik die Welt erfasst. Berlin: Suhrkamp.

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Goetz, J. (2018). „Aber wir haben die wahre Natur der Geschlechter erkannt ...“. Geschlechterpolitiken, Antifeminismus und Homofeindlichkeit im Denken der „Identitären“. In: J. Goetz et al. (Hrsg.), Untergangster des Abendlandes: Ideologie und Rezeption der rechtsextremen „Identitären“. Hamburg: Marta Press, S. 253–283.

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